Z Kardiol 94: Suppl 2 (2005)

HbA1c und Glukosekontrolle nach Myokardinfarkt.
P. Nawroth1, ChrR. Becker2, J. Tafel2, M. Morcos2, P. Humpert2, A. Bierhaus2
1Klinik für Innere Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, BusinessLogic.Land; 2Innere Medizin I, Universitätsklinikum Heidelberg/ Medizinische Klinik, Heidelberg;

Zusammenfassung:
Der erhöhte Glukosewert, aber auch ein erhöhter HbA1c-Wert sind Prädiktoren von kardiovaskulären Erkrankungen und des kardiovaskulären Todes. Nach den Resultaten der DIGAMI-1-Studie war es Ziel der DIGAMI-2-Studie, das Ausmaß der Glukosesenkung nach Myokardinfarkt für die langfristige Prognose nachzuweisen. Es gelang in dieser Studie jedoch trotz verschiedener Therapieschemata nicht, entscheidende Unterschiede der Blutzuckerkontrolle zwischen den Therapiegruppen zu erreichen, so dass sich letztlich, wie erwartet, kein Unterschied bezüglich der Mortalität ergab. Aus der Steno-2 Studie wird ersichtlich, dass die Diabetestherapie keine simple Technik ist, sondern nur mit einem hohen Personalaufwand, Patientenschulung, sowie durch individuelle Analyse und Zuwendung zu dem Patienten Erfolg versprechend sein kann. Zukünftige Studien werden die Frage nach der Bedeutung einer guten Blutzuckereinstellung für die Prognose nach Myokardinfarkt nur dann beantworten können, wenn in den Therapiegruppen definierte HbA1c-Zielbereiche erreicht werden und die medikamentöse Therapie der kardiovaskulären Risikofaktoren zwischen den Gruppen identisch ist.
 
Einleitung:
Die Aufgabe der DIGAMI-2-Studie war es, den Wert der vor allem Insulin vermittelten Glukosesenkung für das Langzeitüberleben und die Gesundheit nach Myokardinfarkt zu untersuchen. Die Studie scheiterte, denn es gelang nicht, in den 3 Therapiegruppen langfristig unterschiedliche HbA1c-Werte zu erreichen. Hierfür gibt es aus Sicht der Autoren verschiedene Gründe:
1) Das Rekrutierungsverhalten von Zentren ist abhängig von finanzieller Unterstützung. Da diese in der DIGAMI Studie gering war, wurden aus Sicht der Autoren dieser Übersichtsarbeit vor allem solche Patienten eingeschlossen, deren Diabetestherapie relativ einfach war - deshalb auch der gute Ausgangs-HbA1c-Wert in allen Gruppen.
2) Es ist auffallend, dass es trotz der relativ guten Ausgangs-Blutzuckerwerte nicht zu einer signifikanten Senkung im Rahmen der Therapie in  Gruppe 1 oder 2 kam. Daraus lässt sich erkennen, dass die Blutzuckersenkung mehr ist als nur das Verschreiben einer bestimmten Therapieform – sie umfasst neben sehr persönlicher Beratung auch einen wesentlichen Eingriff in die Privatsphäre. Aus der DIGAMI-2-Studie können einfache Lehren gezogen werden:
1) Es bedarf eines öffentlichen Forschungsauftrags und ausreichend unterstützter Studien, um diese wesentlichen Fragen zu klären. Auch von zukünftigen Industrie – geförderten Studien, in denen verschiedene orale Antidiabetika getestet werden, ist keine Antwort auf die zentrale Frage zu erwarten, nämlich welches Medikament in welchem HbA1c-Zielbereich welche Wir-kung/Nebenwirkung hat.
 2) Die Diabetestherapie ist keine simple Technik und  keine Labormedizin, sondern erfordert die individualisierte Bezugnahme auf die verschiedenen Aspekte des einzelnen Patienten, und geht somit weit über die Bestimmung  des HbA1c-Wert oder des Koronarstatus hinaus.Es gibt verschiedenste Übersichtsarbeiten, welche sich mit möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen oraler Antidiabetika, aber auch des Insulins bei Patienten mit Zustand nach Myokardinfarkt auseinandersetzen. Aber ohne Vorliegen exakter, reproduzierbarer klinischer Daten sind diese Schlussfolgerungen meist über das Ziel hinausschießend.

Zukünftige Perspektiven:
Der größte Anstieg des kardiovaskulären Risikos liegt zwischen gesund und metabolischem Syndrom; die weiteren Anstiege des Risikos für das Entstehen einer gestörten Glukosetoleranz sowie bei Manifestation eines Diabetes mellitus sind bezüglich des kardiovaskulären Risikos und der kardiovaskulären Mortalität vergleichsweise gering. Hier liegen bisher nur wenige Studien vor, die auch Schwankungen des postprandialen Glukoseanstiegs zum Ziel der Therapie haben. Nachdem man zur Zeit davon ausgeht, dass (wahrscheinlich neuronale und hepatozelluläre) Aktivierung von Entzündungsmechanismen (Veränderungen der Kinasen, die den proinflammatorsichen Transkriptionsfaktor NFκB und Mitglieder der Beta-CIP-Familie regulieren) für die Entstehung des metabolischen Syndroms verantwortlich sind, kann man daraus auf frühe therapeutische Interventionen schließen, die innovativen Medikamenten zugänglich sind.

Schlussfolgerung:
Eine optimale Einstellung der Glukose nach Myokardinfarkt ist bis zum Beweis des Gegenteils Pflicht. Es wird dabei aber auch immer deutlicher, dass die Glukoseeinstellung nicht eine simple „Technik“, sondern weit mehr als Labormedizin ist. Die individualisierte Erfassung des Patienten und seiner ganz persönlichen Lebenssituation ist die Voraussetzung für eine optimale Kontrolle des Stoffwechsels, ebenso wie für die optimierte Beeinflussung seines Verhaltens (Gewicht, Ernährung, Sport, Fähigkeit zu entspannen).
 

http://www.abstractserver.de/dgk2005/ht/abstracts/H172.htm